Entschleunigen Sie, darf ich um etwas Ruhe bitten?

  • Lesezeit: (ihr werdet gleich verstehen, warum) schnelle 5 Minuten
  • Schwerpunkt: Entschleunigung, Achtsamkeit
  • Key Learnings: Die Tage rund um die Feiertage vermiesen wir uns durch unsere hektische Art selbst. Verzicht und sorgsam ausgewählte Personalisierung steigern die Lebensqualität und bringen mehr Gelassenheit und Bewusstsein in unser Handeln.

Erster Januar 2tausend18. Ich sitze im ICE 1508, München Richtung Berlin, und schreibe über das Business-Mojo. Es soll mein erster Post für meinen Blog business-crunchtime.com werden. Es ist kurz vor 14 Uhr als der Zug planmäßig in Nürnberg einfährt und die Menschenmassen willkommen heisst. Ich spüre: die angenehme Ruhe einer modernen, fahrenden Elektro-Eisenbahn ist verschwunden. Der enge Flur ist gefüllt, die schweren und breiten Koffer stoßen an die Sitzreihen, die verschwitzen Menschen haben knallrote Köpfe und sind völlig ausser Atem. Die hastige Jagd auf die raren nicht reservierten Sitzplätze lässt den Stresspegel ruckartig ansteigen. Die Unruhe überträgt sich auf mich. Meine Konzentration ist dahin.

Mist! Ich wollte doch noch schnell den Beitrag zu Ende bringen! 

In meinem Kopf hallt es nach: "Nur noch schnell ..."

Ich schließe die Augen und höre in mich selbst hinein: Ja, es ist ziemlich hektisch um mich herum.  Aber verflixt nochmal, ich selbst bin es, der zulässt, dass die Hektik in mich hineindringt und sich als Stress bemerkbar macht: Ich fange an, an den Fingern zu kauen und mit den Füßen hoch und runter zu wippen. Dass ich das erkannt habe führt schlagartig zu einer Entspannung, zu einer Gelassenheit, die ich in den vergangenen Tagen an mir vermisst habe.

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Mein Mojo-Blog muss warten ... ich muss gerade einpaar andere Gedanken loswerden:

Entschleunigen Sie, darf ich um etwas Ruhe bitten?

Ja, Eigenlob stinkt, entschuldigt bitte, aber irgendwie finde ich das Wortspiel pfiffig :-) Das  heitert mich auf und motiviert mich, in die Tasten zu klimpern.

Ich denke an die vergangenen Tage zurück. Mal ganz ehrlich: Die Besinnlichkeit, die wir der Zeit um Weihnachten und Silvester herum umgangssprachlich zusprechen, existiert doch nicht wirklich. Vielmehr hat sie sich in eine strapaziöse und nervenaufreibende Periode entwickelt - zumindest ist das meine Wahrnehmung. Der Stresspegel nimmt zum ersten Dezember eines jeden Jahres rapide zu. Beruflich möchte man "das Projekt noch schnell abschließen", privat möchte man "die Kleinigkeit noch schnell besorgen". Viele schaffen es nicht, die hohe Taktzahl und den Pegel zu reduzieren, nehmen die Anspannung mit in den Urlaub mit und wollen "den alten Freund noch schnell auf einen Kaffee treffen" oder "die Tante dritten Grades noch schnell besuchen". Irgendwie machen wir alles nur noch schnell und genießen nicht. Eine Aufgabe jagt die andere, wir geilen uns an den abgehakten To Dos auf.  Ich muss gestehen, ich selbst kann mich da nicht wirklich ausschließen, mir geht es nicht anders ... ich bin Teil dieses Systems, ich lasse selbst all das zu was ich in den vorhergehenden Zeilen anprangere.

Warum diese Hektik, diese künstliche Eile? Was ist der Grund dafür? Was stresst und nervt uns? Was kann man dagegen tun?

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Brauchen oder Wollen, das ist hier die Frage

Bereits Ende Oktober überhäuft uns der Einzelhandel mit Angeboten und Schnäppchen. Natürlich ist es toll zu sparen ... der Schwabe in mir schlägt Purzelbäume. Aber mal ganz ehrlich: Neben Geschenken für die Lieben beschenken sich doch viele auch gleich selbst mit. „Je mehr ich kaufe desto mehr spare ich“ scheint die Devise zu sein.  Man wird dazu verleitet, sich Dinge anzuschaffen, die man unter normalen Umständen möglicherweise nie gekauft hätte. Ich selbst habe mich erst kürzlich dabei ertappt, wie ich mich über ein verpasstes Angebot geärgert habe. Heute rege ich mich über mein damaliges Aufregen auf. Ich bin in die Falle getappt. Die Marketing-Experten haben es geschafft in mir Verlust-Gefühle zu wecken.

Abhilfe: Ich stelle mir gedanklich jedes Mal einpaar simple Fragen. Brauche ich es oder will ich es einfach nur haben? Wenn ich es haben will: Ist es mir das Geld wert? Was könnte ich mit demselben Geldbetrag sonst noch tolles anstellen? So verhindere ich ein Reuegefühl, egal wie meine Entscheidung ausfällt. Probier's mal aus!

Hast du auch eigene Methoden, um den Kaufrausch zu bändigen? Teile sie!

Persönlich ist versöhnlich

Die Herbstmonate Oktober und November sind vorbei, unsere Kalender zeigen den ersten Dezember, da purzeln die ersten Weihnachtsgrüße von Geschäftspartnern ein. "Frohes Neues" wünscht man mir hier, "einen guten Rutsch" da. Leider sind die meisten Karten nicht personalisiert sondern simple Massenprodukte. Anstelle des Gefühls der Wertschätzung überkommt mich der Gedanke, wieviel Ressourcen in Form von Papier, Tinte, Arbeitskraft, Kraftstoff usw. wohl für die Übermittlung derartiger Grüße aufgebracht werden.

Versteht mich nicht falsch. Ich finde es klasse, dass jemand so nett ist und an mich denkt, mir herzliche Glückwünsche schickt. Ich verstehe auch, dass eine personalisierte Grußkarte sehr viel aufwendiger ist.

Ich freue mich. Aber es ist irgendwie eine gedämpfte Freude. 

Zwei Dinge sind mir in den vergangenen Wochen allerdings aufgefallen: Zum einen kann ich mir bei der Fülle an Nachrichten kaum merken, wer was verschickt hat. Zum anderen bringt es mich gefühlt selbst unter Zugzwang, ebenfalls eine Grußkarte versenden zu müssen. Dieses psychologische Phänomen nennt sich Regel der Gegenseitigkeit (engl.: Reciprocity) und wurde 1974 durch den Psychologen Phillip Kunz anschaulich demonstriert. Kunz verschickte an 600 zufällig ausgewählte Menschen weihnachtliche Grusskarten. Das überraschende dabei: In den Jahren darauf bekam er von bis zu 200 Personen Grüße zurück. Von wildfremden Menschen, wohlgemerkt! Meine Business-Partner sind keine Fremde. Es ist toll, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Aber die Regel der Gegenseitigkeit trifft wohl auch auf mich zu.

Abhilfe: Weniger ist mehr. Ich nehme mir vor den Feiertagen eine Stunde Zeit und rufe die Partner und Kollegen direkt an. Der persönliche Kontakt steigert die Bindung, ich kann mich direkt über das Wohlergehen erkundigen und meine Glückwünsche überbringen. Hinweis an dieser Stelle: ich habe bemerkt, dass manch einer stutzig wird, wenn man "einfach mal nur so" anruft, ohne einen triftigen Grund zu haben. Das sollte dich nicht entmutigen. Dein Gegenüber mag über deinen Anruf möglicherweise überrascht sein, wird sich aber zugleich freuen. Durch dein Verhalten legst du den Grundstein für eine belastbare, nachhaltige Beziehung.

Ich habe wirklich gute Erfahrungen mit der Vorgehensweise gemacht. Wie sieht es bei dir aus? 

Das Weihnachts- und Silvester-Grüße-Spektakel lässt uns leider auch im Privatleben nicht los. Ich schaue kurz vor Heiligabend auf das Smartphone: 87 ungelesene Nachrichten! Und an Silvester? Ähnliches Bild: Es ist 1:47 Uhr, ich habe 121 ungelesene Messages. „Wow, ich muss ja ziemlich beliebt sein!“ denke ich spontan ... doch die Realität sieht leider anders aus: Die Anzahl der Nachrichten, in denen wirklich mein Name vorkommt, in denen mir persönlich gratuliert wird, in denen mir Glück und Gesundheit gewünscht werden, lassen sich an einer Hand abzählen. Weihnachten und Silvester zusammen ganze fünf persönliche Nachrichten. Eine Quote von 2,4 % (5 von 208 Nachrichten)! Joghurt enthält mehr Fett als meine Mailbox persönliche Nachrichten. Das ist irgendwie ziemlich traurig. Wir spammen uns gegenseitig zu, belasten uns mit unpersönlichen und unnötigen Nachrichten und erhöhen damit unseren Stresspegel ungemein, ohne das wir uns wirklich darüber im Klaren sind. Ein Bericht von Sebastian Hardt (netz.de) zeigt: Jeder WhatsApp-Nutzer verschickt etwa 55 Nachrichten pro Tag, alle Nutzer bringen es zusammen auf 55 Milliarden. Wie PC-Welt (Michael Söldner) berichtet, liegt der Rekord sogar bei mehr als 63 Milliarden Nachrichten - Tendenz steigend.

Die Zahlen erschrecken mich. Ich checke meine eigene Statistik (für iOS: WhatsApp > Einstellungen > Daten- und Speichernutzung > Netzwerk-Nutzung). Dort steht:

Gesendet: 51.476 - Empfangen: 90.118

Ich nutze WhatsApp seit etwa sechs Jahren. Macht 2190 Tage. Ich sende also im Schnitt 23 Nachrichten, empfange zugleich 41. Mein Sende-Empfangs-Ratio beträgt 0,57 ... puh, Glück gehabt, nur unterdurchschnittlich! Trotzdem irgendwie zu hoch, weil das ja nur die private Spitze des Eisbergs ist. Da sind noch SMS (wenn auch wenige), die eine oder andere E-Mail. Plus das Berufliche. Uggghh :-S ... das ist 'ne Menge!

Abhilfe: Auch hier gilt: Weniger ist mehr! Ich habe beschlossen Menschen anzurufen, die sich die Mühe gemacht haben mir eine persönliche Nachricht zu schicken. Wenn das nicht klappt, nehme ich eine persönliche Video-Botschaft auf uns schicke sie zu. Und verzichte auch selbst auf Massen-Nachrichten und Spam-Mails. 

Hast ihr für euch auch eigene Methoden gefunden? Ich freue mich auf weitere Inspirationen!

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Erster Januar 2tausend18. Es ist kurz nach 17 Uhr. Mein Zug fährt bald im Berliner Hauptbahnhof ein. Ich bin entspannt. Ich habe noch 30 Minuten. Ich fasse den Entschluss, noch schnell die Augen zu schließen und zu entspannen und denke mir: Gut, dass ich noch schnell diesen Beitrag geschrieben habe.

P.S.: Der Mojo-Beitrag wird kommen. Ich empfehle, die Wartezeit mit "Austin Powers – Spion in geheimer Missionarsstellung" zu verkürzen. 

In diesem Sinne: Rockt es!

Euer Celil